Das Flexi-Rentengesetz hat mit der Einführung des § 14 SGB VI die Prävention ab Dezember 2016 zur Pflichtleistung der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht. Die Gremien der Deutschen Rentenversicherung haben daraufhin ein Rahmenkonzept verabschiedet, in dem die Prävention modular aufgebaut ist und grundsätzlich in vier Phasen durchgeführt wird: Initial-, Trainings-, Eigeninitiativ- und Auffrischungsphase. Alle Module – mit Ausnahme der Eigeninitiativphase – müssen in einer für die Leistungserbringung zugelassenen Rehabilitationseinrichtung durchgeführt werden.
Die Initialphase dauert ein bis drei Tage und wird in einer hierfür zugelassenen Rehabilitationseinrichtung durchgeführt. Die anschließende dreimonatige Trainingsphase soll berufsbegleitend ein- bis zweimal pro Woche für rund 1½ Stunden in der Freizeit und in der Rehabilitationseinrichtung stattfinden. Anschließend folgt eine drei- bis sechsmonatige Eigenaktivitätsphase, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das zuvor Erlernte eigenverantwortlich fortsetzen. Den Abschluss bildet eine ein- bis zweitägige Auffrischungsphase, die wiederum ganztägig in der Rehabilitationseinrichtung stattfindet.
Häufig scheitert die Realisierung der Trainingsphase und in Folge die gesamte Präventionsleistung daran, dass die Präventandinnen und Präventanden aufgrund ihrer Arbeitszeiten (zum Beispiel Schichtdienst) oder wegen Abwesenheiten vom Wohnort (zum Beispiel Berufskraftfahrer im Fernverkehr oder Seeleute) nicht in der Lage sind, regelmäßig an der Präventionsleistung teilzunehmen. Darüber hinaus besteht auch noch kein bundesweit flächendeckendes Angebot an zeitnah erreichbaren Präventionseinrichtungen, so dass auch aus diesem Grund vielfach keine Präventionsmöglichkeit im Sinne des modularen Systems gegeben ist.
Für alle Versicherten, denen wohnortnah keine zugelassene Präventionseinrichtung zur Verfügung steht oder die aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten an einer Teilnahme in modularer Form gehindert sind, hat die Knappschaft-Bahn-See zwei Modellprojekte als Alternativangebot entwickelt.
In der Knappschafts-Klinik Borkum besteht die Möglichkeit, die Prävention in kompakter Form während eines 14-tägigen stationären Aufenthaltes in einer Gruppe mit 10 bis 15 Teilnehmern durchzuführen. Die Inhalte bestehen auch hier ebenso wie bei der modularen Variante aus praxisorientierten Basisprogrammen in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Resilienz und Risikoreduktion und entsprechenden Vorträgen.
Zur Sicherung der Nachhaltigkeit der Leistung kommt die Tele-Medizin zur Anwendung. Noch während des stationären Aufenthaltes werden die Präventandinnen und Präventanden in der Klinik von den Therapeuten mit der Online-Rehabilitationsplattform und App „CASPAR Health“ vertraut gemacht. Diese Plattform enthält neben Vorträgen zu allen relevanten Themen und Ernährungstipps mit Kochrezepten auch eine Vielzahl von videobasierten Bewegungstherapien. Gemeinsam mit den Therapeuten werden die für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sinnvollen Übungen festgelegt und bereits während der Präventionsleistung begonnen. So sind die Voraussetzungen geschaffen, um mindestens in den folgenden sechs Monaten auch daheim mittels Smartphone, Tablet oder PC weiter körperlich aktiv zu bleiben und sich bei Bedarf die einzelnen Vorträge erneut anzusehen. In diesem Zeitraum stehen erfahrene Physiotherapeuten für Fragen und zur Unterstützung online zur Verfügung. Bei Bedarf können die ausgewählten Caspar-Übungen auch den Wünschen und Bedürfnissen der Präventandinnen und Präventanden angepasst bzw. verändert werden.
Im Juni 2018 startete dieses Modellprojekt probeweise mit zwei Gruppen von Rangierern der Deutschen Bahn AG. Aufgrund der positiven Resonanz bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern können an dem Modellprojekt mittlerweile alle Versicherten der Knappschaft-Bahn-See teilnehmen, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen. Auch andere Träger der Deutschen Rentenversicherung nehmen das Angebot in Anspruch.
Insgesamt haben bislang 265 Versicherte an dieser Präventionsleistung teilgenommen und 143 weitere Versicherte eine Bewilligung erhalten. 92 Prozent aller bisherigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten während der gesamten sechsmonatigen Eigeninitiativphase die CASPAR-App für die weiteren Aktivitäten. Diese überdurchschnittlich hohe Teilnahmequote unterstreicht die hohe Akzeptanz der Tele-Medizin bei unseren Präventandinnen und Präventanden. Um detaillierte Erkenntnisse zu erhalten, ist beabsichtigt, das Präventionsprojekt in der Knappschafts-Klinik Borkum Ende 2019 durch das Institut für Sport und Sportwissenschaften des Karlsruher Instituts für Technologie evaluieren zu lassen.
Aufgrund der positiven Erfahrungen im allgemeinen Präventionsbereich hat die Knappschaft-Bahn-See entschieden, die Tele-Medizin bei einem weiteren Modellprojekt, beim Adipositasprogramm der KBS, zu erproben.
Das Adipositasprogramm der KBS ist eine Intervall-Rehabilitation für Versicherte mit einem Body-Maß-Index größer als 30 und findet im Zusammenarbeit mit verschiedenen Kliniken statt. Zunächst erfolgt eine dreiwöchige stationäre Rehabilitation in einer Gruppe von 10 bis 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. An diese erste Leistung schließen sich zwei einwöchige Wiederholungsintervalle nach jeweils sechs Monaten an unter der Voraussetzung, dass mindestens das Entlassungsgewicht des vorangegangenen Aufenthalts gehalten wurde.
Um die Versicherten in den beiden sechsmonatigen Phasen zuhause und auch in der Zeit nach der Rehabilitation zu unterstützen und die Nachhaltigkeit der Leistung zu sichern, steht ihnen ebenfalls die CASPAR-App zur Verfügung, wobei auch hier eine Einweisung durch die Therapeuten der Reha-Klinik vorausgeht und die Weiterbetreuung durch Therapeuten erfolgt.
Digitale Technologien wie die Telemedizin können helfen, die Herausforderungen, vor denen unser Gesundheitssystem steht – immer mehr ältere und chronisch kranke Menschen zu behandeln, teure medizinische Innovationen zu bezahlen, strukturschwache ländliche Gebiete medizinisch zu versorgen – besser zu lösen. Auch in der Gesundheitsprävention ermöglicht Telemedizin eine bessere und effizientere Versorgung und einen breiteren Zugang zu medizinischer Expertise insbesondere auch in ländlichen Regionen. Auch neue Formen einer besseren Betreuung der Patientinnen und Patienten im häuslichen Umfeld können realisiert werden. Damit die Chancen von Telematik und Telemedizin für die Gesundheitsversorgung besser genutzt werden können, ist die Knappschaft-Bahn-See für ihre Versicherten bereits heute in vielfältiger Weise aktiv.